Brief. Ja, erlebte noch! Ich ging hinaus in den Schuppen hinter
dem Haus, flüchtete mich in eine dunkle Ecke und weinte verzweifelt,
voll großer Angst, Hoffnungslosigkeit eines Wiedersehens,
der Verlassenheit in dieser untergehenden Welt. Ich
wollte beten. Der liebe Gott, den Vater in seinen ergreifenden
Zeilen eben heraufbeschworen hatte, war mir unendlich fremd
und kalt geworden. Wo blieb der «Herr» aus den Psalmen, die
Verheißung Gottes?
«Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet
mich auf seiner grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.
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Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein
Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten
mich. »Aus dem 23. Psalm« Der gute Hirte». Ein Psalm Davids.
Im Hof hörte ich die polternde Stimme des Wirtes, der die
zwangsdeportierte junge polnische Magd bei jedem kleinsten
Versehen fürchterlich anschrie. Das etwa 50jährige kinderlose
Ehepaar war in seiner hartherzigen Unverträglichkeit im ganzen
Dorf bekannt, wobei der Mann, im Grunde der Seele eher gutmütig,
von seiner bissigen Frau angestachelt wurde. Beide belauschten
argwöhnisch jedes unserer Gespräche mit dem armen
Mädchen. Ich begann mich im Haus beim Aufwischen der
Räume, dem wöchentlichen Scheuern der hellen Gaststuben-
Holztische nützlich zu machen. Ein Dankeschön erhielt ich nie.
Ein erstes zaghaftes Lächeln erschien eines Tages auf Gastwirt
Heinos Gesicht, als ich an seinem Hauklotz das angefangene
Buschwerkhacken für sein Herdfeuer fortsetzte. – Der Geldbriefträger
mit Vaters angekündigten 2000.-Mark (die damals
den zehnfachen Wert von heute besaßen) erhöhte plötzlich unser
Image vom «Höhlenbewohner» zum richtigen Bürger. Das
Zählwerk der Wirtsgehirne schien ratternd die Sicherheit unserer
Zimmermiete für viele Jahre zu errechnen.