Der Gastwirtschaft gegenüber lagen zwei Gehöfte, ein Mittelstandsbauer,
und das kleine Haus einer Tagelöhnerin mit ihrem
erwachsenen, körperlich und geistig schwer behinderten Sohn.
Sie half bei den umliegenden Bauern, hatte eine magere Kuh,
zwei Stübchen, eine warme Küche und das nötigste zum Sattessen.
Ein Petroleumlämpchen spendete ihr kümmerliches
Licht, sie war gütig und hilfsbereit. – So könnte ich, wie im Märchen
oder in Geschichten von armen Bergbauern die Schilderung
rührselig weiterspinnen. – Aber sie war in ihrer Schlichtheit
die einzig gute Fee dieser kleinen Ansiedlung
Keuckenbrück. Selber knapp mit Heizvorrat, schenkte sie uns
öfter ein bis zwei Stückchen Torf, etwas trockenes Holz.
Ihrem verkrüppelten Sohn Hannes hatte sie einen Handwagen
mit Deichsel und kleinem Wagengeschirr ausstatten lassen und
einen starken Bernhardinerhund angeschafft. Jetzt konnte Hannes
sich seiner Mutter nützlich erweisen. Die Bauernmilchkanne
hinter sich im Wägelchen, kutschierte er die vier Kilometer
lange Strecke nach Dornbusch zur Ablieferung in der
Molkerei. Diesen Weg machten auch Botho und ich zweimal in
der Woche, um die mageren Brotrationen und Nahrungsmittel
auf Lebensmittelkarten zu kaufen.Wir überquerten die kleine
Brücke über das schmale Flüsschen «Keuck», das aus dem langgestreckten
Waldgebiet zwischen Weddelsbrook und Dornbusch
kurz hinter dem Haus in der Talsenke durch Felder und
Wiesen plätscherte. Hin und wieder fingen wir einige winzige
Fische mit den Händen für unseren Kochtopf. Dem massiven
Wochenend-Holzblockhaus eines reichen Hamburgers sandten
wir sehnsüchtige Blicke zu.Wenn wir darin wohnen könnten,
bis der Krieg zu Ende, die Welt sich für uns normalisiert hätte!
Das Refugium blieb, kaum benutzt, den Reichen erhalten.
Hatten wir die große Ziegelei, deren Sirenenton um 7 Uhr morgens
die Angestellten, polnischen und deutschen Arbeiter in die
Fabrik rief, passiert, dann lag der halbe Weg fast hinter uns. Das
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