bezaubernde schlanke Schönheit verwandelt, die selbst Mutter
überraschte. Ihre kleine Martina – diese faszinierende Frau?
Karl und Martina hatten sich um halb acht Uhr abends am
Haupteingang des von Karl von Fischer in den Jahren
1811 – 18 erbauten Nationaltheaters am Max-Joseph-Platz verabredet.
Beginnende Dämmerung und Nieselregen verwischten
die Lichter der Lampen und Fenster. Nasser, sich spiegelnder
Asphalt auf der Maximilianstraße. Das festliche Gebäude wie
ein beleuchteter schwankender Luxusliner auf hoher See. Das
farbige Mosaik des Giebels blieb in Dunkelheit gehüllt. Erst als
sie die Stufen zum Portikus mit den acht ionischen Säulen emporstieg,
entdeckte sie Karl am Haupteingang. Stolz registrierte
sie sein bewunderndes Staunen, als er ihr an der Garderobe den
Mantel abnahm. Alles war festlich, unsagbar schön. Im klassizistischen
Theaterraum mit den fünf Ringen und der Königsloge
in Rot, Weiß und Gold hatten sie Plätze in der achten Reihe
im Parkett. Verliebt, glücklich wie Kinder vor der Weihnachtsbescherung
warteten sie auf das Öffnen des Bühnenvorhangs.
Ein weiter kahler Raum mit sechs statuarischen, beziehungslos
in verschiedenen Posen verharrenden Personen.
Schweigen.
Klagender Bogenstrich über einsaitiger Fidel. Plötzlich akrobatische
Sprünge der Solotänzer über gebückte Leiber, um sich
selbst schraubende Körper in artistischen Verrenkungen. Losgelöster
Tanz von allen Vorstellungen des klassischen Balletts,
dem strengen Drill an der Stange: passe, couronne, seconde,
plie und changement. Ein Abend der Superlative, Remineszenzen
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an Breakdance.
Und dann Totenstille. Drei einsame, trauernde sich selbst streichelnde
Frauen zogen barfuß, ihre weißen Leiber in durchsichtige
schwarze Schleier gehüllt, über den Bühnenhintergrund,
während zerlumpte Gestalten aus einem imaginären Sumpf zur